Ein Deutscher, zwei Pässe: künftig zwei Staatsbürgerschaften denkbar

Vor fast 15 Jahren sammelte Roland Koch noch Unterschriften dagegen. Nun kommt die Union der SPD bei der doppelten Staatsbürgerschaft offenbar entgegen.

Gabriele Fograscher erinnert sich gut. Dank einer umstrittenen Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft eroberte der CDU-Mann Roland Koch 1999 nicht nur die Macht in Hessen. Auch die Mehrheit von Sozialdemokraten und Grünen im Bundesrat war plötzlich dahin. Im Lichte dieser Ereignisse, sagt die Innenexpertin der SPD heute, hätten Bund und Länder damals auf Zeit gespielt und das Problem in die Zukunft verschoben. „Und jetzt ist die Zukunft da.“

Optionspflicht: die schwere Entscheidung für eine Staatsbürgerschaft

Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechtes wurde Anfang 2000 die sogenannte Optionspflicht eingeführt. Danach haben Kinder von Einwanderern, die nach 1990 in Deutschland geboren wurden, zunächst zwei Staatsbürgerschaften, die deutsche und die ihrer Eltern. Bis zu ihrem 23. Geburtstag müssen sich die meisten von ihnen für eine entscheiden. Das heißt: Jahr für Jahr werden mehr junge Menschen „in Gewissensnöte gedrängt“, wie die Nördlinger Abgeordnete Fograscher es nennt. Davon ausgenommen sind nur Kinder von Eltern aus EU-Ländern oder Staaten wie dem Iran, Syrien oder Algerien, die Staatsangehörige generell nicht ausbürgern.Vor der Wahl hat die SPD daher versprochen, sich für den Doppelpass starkzumachen: „Die Optionspflicht, die junge Menschen mit der Volljährigkeit zwingt, sich für eine Staatsangehörigkeit zu entscheiden, werden wir abschaffen.“

CSU-Chef Seehofer: “Eine Zerreißprobe”

In der Union ist die doppelte Staatsbürgerschaft auch fast 15 Jahre nach Kochs Kampagne nicht allzu populär – umso erstaunter verfolgen viele Konservative, wie Horst Seehofer der SPD entgegenkommt. „Ich frage mich, ob es noch Sinn macht, die jungen Leute durch diese Zerreißprobe zu jagen“, sagt der CSU-Chef. Innenminister Hans-Peter Friedrich glaubt nicht, dass der Doppelpass zu einer besseren Integration führt. Auch CDU-Experte Wolfgang Bosbach ist skeptisch: „Ich sehe keinen Grund, warum wir unsere Haltung beim Staatsbürgerschaftsrecht aufgeben sollten.“

Seehofers Kritiker in den C-Parteien verweisen gerne auf das Beispiel der deutsch-türkischen Partei BIG, die in Deutschland schon zu einigen Kommunal- und Landtagswahlen angetreten ist und dem Einflussbereich des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan zugerechnet wird. Wenn Millionen von Türken einen deutschen Pass bekämen, unkt ein Unionsmann, könne aus einer solchen Mini-Partei ein gewichtiger politischer Faktor werden. In der Vergangenheit ist die BIG unter anderem durch scharfe Polemik gegen Homosexuelle aufgefallen. Eine ihrer Pionierinnen rechtfertigte ihre Kandidatur in Bonn 2010 so: „Ich sitze nicht nur als Hülya Dogan im Stadtrat, sondern stellvertretend für alle Frauen mit Kopftuch.“Koalitionsgespräche in Berlin: Ist Bayern im November unregiert?

Die SPD rechnet fest mit einer Abschaffung der Optionspflicht

Wo CDU und CSU sich genau bewegen, blieb nach dem ersten Treffen der zuständigen Arbeitsgruppe gestern noch unklar. SPD-Unterhändler Thomas Oppermann rechnet jedoch fest mit einer Einigung: „Ich bin ganz sicher, dass wir am Ende die doppelte Staatsangehörigkeit ermöglichen und den Optionszwang beseitigen können.“ Dem Vernehmen nach haben für die Kanzlerin im gesellschaftspolitischen Teil der Verhandlungen andere Themen Vorrang, allen voran das Nein zu einer weiteren Aufwertung der Homo-Ehe durch ein generelles Adoptionsrecht. Bei der doppelten Staatsbürgerschaft, heißt es, werde sie sich kaum verkämpfen. Selbst Kochs Nachfolger, der Konservative Volker Bouffier, hat bereits angekündigt, die Diskussion darüber „ergebnisoffen“ und „ohne Schaum vor dem Mund“ zu führen.