Der Besenbinder von Rychiswyl

Glücklich möchten alle Menschen werden. Wenn sie reich wären, würden sie auch glücklich sein, meinen die meisten, meinen, Glück und Geld verhielten sich zusammen wie die Kartoffel zur Kartoffelstaude, die Wurzel zur Pflanze. Wie irren sie sich doch gröblich, wie wenig verstehen sie sich auf das Wesen der Menschen und haben es doch täglich vor Augen!

Die Heilige Schrift sagt, denen, die Gott lieben, täten alle Dinge zum Besten dienen, und so ist es auch. Geld ist und bleibt Geld, aber die Herzen, mit denen es zusammenkommt, sind so gar verschieden; daher erwächst aus den verschiedenen Ehen von Herz und Geld ein so verschiedenes Leben, und je nach diesem Leben bringt das Geld Glück oder Unglück. Aufs Herz kommt es an, ob man durch Geld glücklich oder unglücklich werde. Klar hat Gott eigentlich dies an die Sonne gelegt, aber leider sehen die Menschen gar selten klar die klarsten Dinge, machen sie vielmehr dunkel mit ihrer selbstgemachten Weisheit. Am Besenbinder von Rychiswyl greifen wir aus den hundert Exempeln, an welchen wir die obige Wahrheit angeschaut, eins heraus, welches ein Herz zeigen soll, dem Geld Glück brachte.

Besen sind bekanntlich ein schreiendes Bedürfnis der Zeit und waren das freilich schon seit langen Zeiten. Derartige Bedürfnisse, die täglich und wöchentlich befriedigt sein wollen, gibt es viele in jedem Haus und allenthalben Menschen, welche es sich freiwillig zur angenehmen Pflicht machen, diese Bedürfnisse zu befriedigen. Immer weniger achtet man der Personen, welche dieses tun, wenn man nur das Nötige kriegt und so wohlfeil als möglich. Ehedem war es nicht so: ehedem ward das Besenmannli, das Eierfraueli, das Tuft- oder Sandmeitschi usw. so gleichsam zur Familie gerechnet; es war ein festes Verhältnis, man kannte die Tage, an welchen die Personen erschienen; je nachdem sie in Hulden standen, ward ihnen etwas Absonderliches verabreicht, und fehlten sie um einen Tag, so entschuldigten sie sich das nächste Mal, als hätten sie eine Sünde begangen, und sprachen von ihrem Kummer, man möchte vielleicht geglaubt haben, sie kämen nicht mehr, und sich daher anderweitig versorgt. Sie betrachteten ihre Häuser als die Sterne an ihrem Himmel, gaben sich alle Mühe, sie gut zu bedienen, und wenn sie mit diesem Gewerbe aufhörten oder sich selbst auf einen höheren Zweig beförderten, so gaben sie sich alle Mühe, einem Kinde, einer Base, einem Vetter oder sonst so wem zu ihrer Stelle zu verhelfen. Es war da ein gegenseitig Band von Anhänglichkeit und Vertrauen, welches leider in unserer kalten Zeit, wo alle Familienwärme sich immer mehr verflüchtigt, immer lockerer und loser wird.

Ein solcher Hausfreund war der Besenmann von Rychiswyl, der viel in Bern zu sehen, so recht eigentlich aber in Thun angesehen und beliebt war. An kleineren Orten gestalten sich alle Verhältnisse viel inniger, einzelne Persönlichkeiten werden mehr bemerkt und gelten auch mehr. Eher hätte der Samstag im Kalender gefehlt als an einem Samstag das Besenmannli in Thun. Er war nicht immer das Besenmannli gewesen, sondern lange, lange nur der Besenbub, bis man dahinterkam, daß der Besenbub Kinder hatte, die an seinem Karren stoßen konnten.

Sein Vater war ein alter Soldat gewesen und früh gestorben; er war jung, seine Mutter kränklich, Vermögen hatten sie nicht, und betteln gingen sie nicht gerne. Eine ältere Schwester war schon früher ausgewandert, barfuß, und hatte bei einer Frau, welche Tannzapfen und Sägemehl nach Bern trug, ein Unterkommen gefunden. Als sie sich ihre Sporen, das heißt Schuhe und Strümpfe verdient hatte, beförderte sie sich und ward Hühnermagd bei einem Pächter auf einem herrschaftlichen Gute in der Nähe der Stadt. Mutter und Bruder waren stolz auf sie und redeten mit Respekt von dem vornehmen Bäbeli. Hansli konnte die Mutter nicht verlassen, die mußte jemand haben, der ihr für Holz sorgte und sonst half. Sie lebten von Gott und guten Leuten, aber bös.

Da sagte einmal der Bauer, bei dem sie im Haus waren, zu Hansli: “Bub, es dünkt mich, du solltest was verdienen, wärst groß und listig genug.”

“Wollte gerne”, sagte Hansli, “wenn ich nur wüßte, wie?”

“Ich wüßte dir was, worin ein schöner Kreuzer Geld wäre; fange an, mit Besen zu machen! In meiner Weide ist Besenreis genug, es wird mir nur gestohlen, und kosten soll es dich nichts als alle Jahre ein paar Besen.”

“Ja, das wäre wohl gut, aber wo soll ich das Besenmachen lernen?” sagte Hansli.

“Das ist kein Hexenwerk”, sagte der Bauer, “das will ich dich schon lehren, machte viele Jahre alle Besen, welche wir brauchen, selbst und wills mit allen Besenbindern probieren. Das Werkzeug ist eine geringe Sache, und bis dus selbst anzuschaffen vermagst, kannst das meine brauchen.”

So geschah es auch, und Glück und Gottes Segen war dabei. Hansli hatte großen Trieb zur Sache und der Bauer große Freude an Hansli.

“Spar nicht, mach dSach recht! Mußt machen, daß du das Zutrauen bekommst; hast das einmal, so ist der Handel gewonnen”, mahnte der Bauer immer, und Hansli tat darnach.

Natürlich ging es im Anfang langsam zu, aber er setzte doch immer sein Fabrikat ab, und im Verhältnis, als es ihm besser von der Hand ging, nahm auch der Absatz zu. Es hieß bald, es habe niemand so brave Besen wie der Besenbub von Rychiswyl. Je augenscheinlicher der gute Erfolg wurde, desto größer ward auch Hanslis Eifer. Seine Mutter lebte sichtbar auf. Jetzt sei es gewonnen, sagte sie; sobald man sein ehrlich Brot verdienen könne, habe man Ursache, zufrieden zu sein, was wolle man mehr? Sie hatte nun alle Tage genug zu essen, gewöhnlich noch was übrig für den folgenden Tag, konnte alle Tage Brot essen, wenn sie wollte. Ja es war schon geschehen, daß Hansli ihr ein weißes Mütschli heimgebracht aus der Stadt. Wie sie so wohl dran lebte, und wie sie Gott dankte, daß er ihr in ihren alten Tagen ein solches Guthaben geordnet!

Hansli dagegen machte seit einiger Zeit ein sauer Gesicht, endlich fing er an zu muckeln, so könne es nicht länger gehen, so stehe er es nicht aus. Als ihn endlich der Bauer fragte, was das bedeuten solle, und was er eigentlich meine, kam es heraus, daß er nicht imstande sei, die Besen zu tragen; auch wenn sie ihm der Müller zuweilen führe, so sei es ihm sehr unkommod, er sollte notwendig einen Karren haben, die Besen zu ziehen, das gehe ringer, und er komme weiter. Er habe aber das Geld nicht dazu und wisse niemand, der ihm es leihen würde.

“Bist ein dummer Bub!” sagte der Bauer. “Hör du, werde mir nicht einer von denen, welche meinen, wenn ihnen was durch den Kopf schieße, müsse es angeschafft sein! So kann man das Geld brauchen und andern die Fische ins Netz jagen. Jawolle, du einen Karren kaufen! Mach einen!”

Mit offenem Maul und Augen, in denen das Weinen im Anzuge stand, sah Hansli den Bauer an.

“Ja, mach einen, das bringst zweg, wenn du nur willst und Fleiß hast!” fuhr der Bauer fort. “Du kannst ziemlich schnitzeln, und was du nicht weißt, kann ich dich brichten. Das Holz wird dich nicht viel kosten; was ich nicht habe, hat ein anderer Bauer, kannst Besen dafür geben. Zum Beschläg wird sich altes Eisen wohl auch finden in einer Kammer. Wir haben auch noch so ein alt Karrli irgendwo; wollen es hervorreißen, kannst es wohl ins Auge fassen und einstweilen meinethalb brauchen. Der Winter ist vor der Türe, dann kannst dran gehen, im Frühjahr ists fix und fertig, und nicht manchen Batzen hast dafür ausgegeben. Kannst es vielleicht auch beim Schmied mit Besen machen, und vielleicht kann man es ohne Schmied auch machen, wer weiß.”

Jetzt machte Hansli wieder große Augen: er und einen Karren machen!

“Was denkst, wie wollte ich das können, habe ja noch nie einen gemacht!”

“Du dummer Bub!” fuhr der Bauer auf; “einmal muß immer das erste sein, kuraschiert dran hin, so ist es halb gemacht. Glaubs, wenn die Leute das rechte Kurasch hätten, es säße mancher, der als Bettler herumläuft, im Gelde bis über die Ohren und nicht etwa gestohlenes, sondern rechtmäßig erworbenes.”

Hansli hätte fast den Bauer fragen mögen, ob er Verstand habe oder Leinen. Es kam ihm vor, als täte er ihm ein großes Unrecht an, so was ihm zuzumuten.

Indessen der Gedanke ergriff doch Hansli; Hansli ging sachte drauf ein, ungefähr wie ein Kind in kaltes Wasser. Der Bauer half, und im Frühjahr war der neue Karren fix und fertig, am Dienstag nach Ostern zog ihn Hansli zum erstenmal nach Bern, am Samstag darauf zum erstenmal nach Thun. Was Hansli für einen Stolz hatte und für eine Freude an seinem neuen Karren, davon kann sich schwerlich jemand eine richtige Vorstellung machen. Wenn man ihm auch den Ostermontagstier, der tags zuvor in Bern herumgeführt worden war und wohl seine fünfundzwanzig Zentner wog, zum Tausch angeboten, er hätte das Anerbieten mit großem Hohn von der Hand gewiesen. Es schien ihm, als stünden alle Leute still und schauten auf seinen Karren, und, wo er zu Platz kommen konnte mit Reden, da zeigte er mit beredter Zunge alle Vorteile, welche dieser Karren vor allen habe, welche bisher auf der Welt gewesen. Er behauptete mit großer Bestimmtheit, er gehe ganz von selbst; nur bergan müsse man etwas nachhelfen. Eine Köchin sagte, sie hätte nicht geglaubt, daß er so geschickt wäre; wenn sie einen Karren nötig hätte, er müßte ihr auch einen machen. Diese Köchin erhielt, sooft sie ihm Besen abkaufte, zwei ganz kleine Handbeselchen für den Herd obendrein; die sind sehr kommod für Köchinnen, welche auch die Ecken gerne rein haben. Da sind die, welche sich auch an den Werktagen waschen und sogar hinter den Ohren, so gar häufig sind die aber nicht.

Erst jetzt kam Hansli so recht in Eifer, sein Karren war ihm sein Bauernhof, und er war fleißig mit großer Freudigkeit, und Freudigkeit ist ganz was anderes als Verdrießlichkeit; sie verhalten sich zueinander wie ein scharfes und ein stumpfes Beil beim Holzhacken. Die Bauern in Rychiswyl hatten große Freude an dem Jungen. Es war keiner, der ihm nicht sagte: “Wenn du Reiser mangelst, so nimm nur in meiner Weid, aber gschände mir die Birken nicht und denk an mein Weibervolk, das braucht dir Besen, es weiß kein Teufel, wie viel das Jahr durch.”

Das tat denn auch Hansli und war den Bäurinnen grusam anständig. Für Besen hatte man kein Geld auszugeben, das Männervolk sollte sie liefern. Nun weiß man, wie das geht, ist dasselbe ja oft zu faul zum Holzspalten, geschweige denn zum Besenmachen. So geschah es denn oft, daß die Weiber in große Besennot kamen, ja daß der Hausfriede mächtig wackelte. Jetzt war Hansli da mit Besen, ehe man dran dachte, und sehr selten geschah es, daß eine Bäurin sagten mußte: “Hansli, vergiß uns nicht, wir sind am letzten!” Zudem waren die Besen gut, ganz anders als die, welche das Mannsvolk mit Unlust zusammengebaggelt, die auseinanderfuhren oder stumpf waren, als wären sie gemacht aus Haferstroh.

Diese Besen gab Hansli natürlich umsonst, und doch waren es nicht die wohlfeilsten, welche aus seinen Händen gingen. Nicht wegen der Birkenreiser, welche er umsonst hatte, sondern wegen der Gaben, welche sie ihm das Jahr durch eintrugen an Brot, Milch und allerlei derart Dinge, welche eine Bäurin zur Hand hat und nichts rechnet. Selten wurde an einem Orte gebuttert, daß es nicht hieß: “Hansli, morgen anken wir, wenn du einen Hafen bringst, kannst Ankenmilch haben.” Obst hatte er mehr, als er brauchte, und Brot brauchte er wenig zu kaufen.

So konnte es nicht fehlen, daß Hansli sich gut stand, denn er war sparsam. Wenn er an den Tagen, wo er in die Städte fuhr, einen Batzen brauchte, so war es viel. Am Morgen sorgte die Mutter dafür, daß er tapfer frühstücken konnte, dann steckte er meist noch etwas zu sich, hie und da kriegte er etwas in einer Küche, wo er wohlbekannt war. Endlich meinte er nicht, es müsse alsbald gegessen sein, wenn es einen gelüste. Hunger haben mache gar nichts, wenn man wisse, wann man zu essen bekomme, es dünke einen nur desto besser. Aber Hunger haben und nicht wissen, ob man je wieder was zu essen kriegt, das tue weh. Das wußte Hansli, daß, sobald er heimkam und seine Sachen geschermt, er essen konnte bis genug, dafür sorgte die Mutter treulich. Sie wußte, was das für eine Bedeutung hat, ob ein Mensch, wenn er heimkommt, zu essen findet oder nicht findet. Wer da weiß, er findet daheim, der kehrt nicht ein, bringt einen leeren Magen heim, und wie er ihn füllt, wird es ihm wohl daheim. Wer nichts findet daheim, fällt draußen und bringt einen vollen Kopf heim, der ist nicht wohl daheim, sondern tut wüste.

Hansli war nicht geizig, aber sehr sparsam, für nützliche, anständige Sachen reute ihn das Geld nicht. In Essen und Kleidern wollte er, daß die Mutter es recht habe, er schaffte sich ein gutes Bett an, große Freude hatte er, wenn er ein schönes, gutes Messer oder ein ander Stück Werkzeug kaufen konnte. Er selbst kam brav daher, nicht kostbar, aber währschaft. Wer ein gutes Auge hat, sieht es den meisten Menschen und Häusern an, ob es da auf- oder abgehe. Bei Hansli war das Aufgehen recht sichtbar, aber eben nicht in der Hoffart, sondern in der Reinlichkeit und Sorgfältigkeit. Daran hatten die Bauern große Freude und mochten es Hansli von Herzen gönnen, kam er doch nicht mit Stehlen zu seiner Sache, sondern durch Fleiß.

Dabei ließ er vom Beten nicht, machte am Sonntag nicht Besen, ging in die Kirche des Morgens, las nachmittags der Mutter, deren Augen stark böseten, ein Kapitel vor und gönnte sich dann später wohl auch ein Privatvergnügen. Dieses bestand darin, daß er sein Geld hervorholte, es zählte und betrachtete und rechnete, wie es gemehret, und wie es noch mehr mehren werde usw. Unter dem Gelde waren schöne Stücke, überhaupt meist sauberes Silbergeld. Hansli war stark auf das Eintauschen, er nahm gerne Münze ein, aber bewahrte sie nicht gerne auf, es dünkte ihn immer, der Wind komme gar zu leicht dahinter und trage sie fort. Die größte Freude hatte er an blanken, neuen Silberstücken, den schönen Bernertalern mit dem Bären und dem stattlichen Schweizermann. Wenn er ein solches erhaschen konnte, war er manchen Tag glücklich.

Er hatte aber auch Verdruß und seine bitterbösen Tage. So zum Beispiel war es ein böser Tag für ihn, wenn er einen Kunden verloren hatte oder verloren glaubte, wenn er gerechnet hatte, in einem Hause ein Dutzend Besen abzusetzen, und mit dem Bescheid: “Sind schon versehen!” barsch abgewiesen wurde. Es war vielleicht eine neue Köchin eingezogen, und die wußte nichts vom bekannten Besenbub und ließ ihre harthölzige Stimme die Treppe herunter erschallen: “Wir mangeln keine!” Nun dachte Hansli nicht an die wahre Ursache, wußte nicht, daß man an Orten mit den Köchinnen wechseln muß wie mit den Hemden, manchmal fast noch öfter. Er meinte dann wunder, was er gefehlt, ob ein Besen nicht recht gebunden gewesen, ob er verleumdet worden? Er nahms sehr zu Herzen, es irrte ihn im Schlafen, er ruhte nicht, bis er den wahren Grund vernommen. Später nahm er es aber auch kaltblütiger, selbst wenn eine Köchin, der er wohl bekannt war, ihn wegschnauzte. Er dachte, Köchinnen seien sozusagen auch Menschen, und wenn Herr oder Madame die Köchin schnauzten, weil sie die Suppe verpfeffert und die Sauce versalzen, dieweil ihr Schatz ins Land gegangen, wo der Pfeffer wächst, so hätte die Köchin auch Menschenrechte und könne wieder andere abschnauzen.

Doch noch bösere Tage machte ihm folgendes, und das lernte er nie kaltblütig nehmen. Seine Birken kannte er nachgerade alle, ja für sich hatte er den Weiden und sogar einzelnen Bäumen bestimmte Namen gegeben, den schönsten Birken schöne Namen, Anne Mareili zum Beispiel, Liseli, Röseli, Sternenblume usw. Diese Bäume freuten ihn das ganze Jahr über, er teilte die Lust, ihnen ihre Reiser abzunehmen, sich ordentlich ein, behandelte die Bäume mit Zärtlichkeit, brachte die Besen von denselben seinen liebsten Kunden. Das waren denn auch wirkliche Staatsbesen, die diesen Namen besser verdienten als mancher andere Besen. Wenn er aber dann voller Freude in die Weide kam und sein Röseli, seine Sternenblume waren greulich gestumpet, der ganze Baum arg mißhandelt, dann tat es ihm im Herzen so weh, das Wasser lief ihm dBacke ab, und vor Zorn ward allmählich sein Blut so heiß, daß man Schwefelhölzer daran hätte entzünden können.

Das machte ihm lange böse Tage, er konnte es nicht verwinden, er trachtete nach nichts, als den Frevler in die Finger zu kriegen, nicht wegen des Wertes der Reiser, sondern weil er ihm seinen Baum geschändet. Hansli war nicht groß, aber er wußte Kraft und Glieder wohl zu brauchen und hatte ein kuraschiertes Herz. Da wars, wo er der Mutter nicht gehorchte, wenn sie ihm um Gottes willen anlag, er solle doch die Sache vergessen, er habe ja Reiser genug, er solle ja nicht nach den Tätern trachten, sie könnten ihn töten oder sonst unglücklich machen. Aber dem allen frug Hansli nichts nach, er lauerte und strich herum, bis er jemand kriegte. Dann gabs Schläge, und mächtige Kämpfe geschahen in den einsamen Weiden. Manchmal siegte Hansli, manchmal kam er gezaust nach Haus.

Aber das gewann er in alle Wege, daß man mehr und mehr seine Weiden in Ruhe ließ, wie es immer geht, wo etwas mit nachhaltiger Tapferkeit verteidigt wird. Warum soll man sich Schlägen aussetzen um etwas, das man anderwärts ohne Gefahr sich verschaffen kann? Zudem hatten die Rychiswyler Bauern Freude an ihrem mutigen kleinen Bannwart. Wurde er einmal gezaust, so sagte ihm wohl der oder dieser: “Es macht nichts, der muß seine Heiligen wiederhaben. Sag es mir, wenn du wieder was merkst, ich will dann auch dabeisein, dem wollen wir das Besenhauen ein für allemal verleiden.”

Dann sagte es Hansli, wenn er was merkte; der Bauer versteckte sich, Hansli tat den Angriff; der Gegner in der Meinung, er sei der Stärkere, floh nicht, wartete, wollte es machen wie das vorige Mal. Hatte Hansli einmal gefaßt, ließ sich der Bauer hervor. Dann wohl, dann hätte der Frevler gerne Fersengeld gegeben, aber Hansli ließ nicht los, er mußte herhalten, bis er den Buckel voll Schläge und den Kopf ohne Haare hatte. Das war ein sehr wirksames Mittel gegen das Birkenplündern, Mareili und Bäbeli blieben nachgerade so ziemlich sicher in den einsamsten Weiden.

So trieb es Hansli manches Jahr in ganz kurzweiliger Einförmigkeit, dachte gar nicht daran, daß es anders gehen könnte. Eine Woche ging ihm um wie der Zeiger an der Uhr, er wußte nicht, wie; ehe er sichs versah, war es Dienstag, wo er nach Bern fuhr; und kaum war der Dienstag zum Loch aus, war der Samstag da, wo er nach Thun mußte, er mochte wollen oder nicht, denn wie hätte man es in Thun machen sollen ohne ihn? Zwischendurch hatte er die Hände voll zu tun, seine Ladungen zu bereiten, Nachbarsleuten zu genügen, das heißt solchen, welche ihm anständig waren. Unser Hansli war auch ein Mensch, und jeder Mensch, wenn er immer dazu kommen mag, hat gnädige und ungnädige Launen. Wer ihn leicht je getreten, der mußte es klug anfangen, wenn er Besen von ihm kriegen wollte. Der Frau Pfarrerin zum Beispiel hätte er nicht für das doppelte Geld einen Besen abgelassen; sie mochte schicken, wann sie wollte, so war es ihm immer leid, daß er keine vorrätig hätte. Sie hatte ihm einmal gesagt, er mache es wie andere, er tue einige lange Reiser außen um, in der Mitte sei dann lauter kurzes Gstümpel. In diesem Falle komme es ja auf eins heraus, ob sie ihre Besen bei ihm oder bei jemand anders nehme, sagte er darauf, und dabei blieb er, und die Frau Pfarrerin starb, ehe sie wieder einen Besen von ihm bekommen hatte.

Eines Dienstages fuhr er wieder auf Bern mit schwer beladenem Karren, den schönsten Besen von seinen liebsten Bäumen, von Röseli, Sternenblume usw. Er zog mit Mühe und schwitzte stark. Er dachte, es sei kurios, sein Karren gehe nicht mehr so von selbst wie anfangs, er müsse gar zu schlimm ziehen, es werde wohl irgendwo fehlen. Er hielt öfters an, um zu Atem zu kommen und die Stirne abzuwischen. Wenn er nur den Stalden auf wäre, der mache ihm Kummer, dachte er. So hielt er auch still beim Murihölzli gerade vor der Leubank. Auf der saß ein Mädchen mit einem Bündelchen neben sich und weinte bitterlich.

Hansli hatte ein gut Herz und fragte: “Was weinst?”

Das Mädchen sagte, es sollte in die Stadt, und es sei ihm so zwider, es dürfe fast nicht. Sein Vater sei ein Schuhmacher und habe seine beste Kundschaft in der Stadt. Da habe es schon lange Schuhe hineingetragen und nicht anders gewußt. Jetzt habe es in der Stadt einen neuen Haschierer gegeben, gar e grusam bösen; der habe es schon mehrere Dienstage, wenn es zum Tore hereingekommen, schrecklich geplagt und ihm gedroht, wenn es noch einmal komme, so nehme er ihm die Schuhe weg, und es müsse ins Gefängnis; es sei verboten, Schuhe in die Stadt zu tragen und damit zu hausieren. Es hätte sagen mögen, was es gewollt, alles habe nichts geholfen. Es habe dem Vater angehalten, er solle es nicht mehr schicken, aber der sei gar ein Exakter und Preußischer, der habe gesagt, es solle nur gehen, er wolle dann schon sehen, wenn man ihm was tue. Aber was ihm das helfe? DSach hätte es dann ausgestanden und die Schande gehabt, daß die Haschierer es genommen.

Hans fühlte großes Mitleiden, besonders weil das Mädchen solch Zutrauen zu ihm hatte und ihm sein Leid geklagt, was es wohl nicht jedem getan. Aber es hab es ihm auf den ersten Blick angesehen, daß er nicht der Wüsteste sei, und was für ein Herz er habe, dachte er. Der gute Hansli! Aber der Glaube mache selig, heißt es.

“Meitschi, da ist dir z’helfe”, sagte er; “gib mit deinen Sack, ich kann ihn zwischen die Besen tun, daß ihn kein Mensch sieht. Ich bin wohlbekannt, da kommt keinen Menschen in Sinn, daß deine Schuhe zwischen meinen Besen sind. Kannst mir sagen, wo ich sie abgeben oder dir warten soll, und von weitem hintendrein gehen, daß es keinem Menschen zSinn kömmt, daß wir etwas miteinander hätten.”

Das Mädchen machte keine Komplimente.

“Wolltest?” frug es mit aufgeheitertem Angesicht, “das ginge mir viel zu gut.”

Es brachte den Bündel, und Hansli barg ihn, daß keine Katze was davon merken konnte.

“Soll dir stoßen oder helfen ziehen?” fragte das Mädchen, als ob es sich von selbst verstehe, daß es das Seine beitrage.

“Wie du lieber willst, eigentlich wärs nicht nötig, gschweret hats wegen der paar Schuhe nicht.”

Anfangs stieß das Mädchen hinten am Karren, doch nicht lange gings, so war es vorne und zog an der Stange. Es dünke ihm, es schicke sich ihm hier besser, sagte es. Es zog brav, man kann sichs denken, und hatte doch noch Atem genug, zu reden und beiher von allem Bericht zu geben, was ihm im Kopf und auf dem Herzen lag. Sie waren oben am äußern Stalden, Hansli wußte nicht, wie; die lange Allee schien ihm um die Hälfte kürzer geworden zu sein. Hier blieb nach getroffener Abrede das Mädchen zurück, und Hansli zog mit Bündel und Besen unangefochten zur Stadt ein, unangefochten gab er dem Mädchen sein Bündel, aber ehe sie noch weiter miteinander gesprochen, ehe das Mädchen gedankt, wurden sie durch die Flut von Leuten, Vieh und Fuhrwerk auseinandergedrängt, Hansli mußte sorgen, daß sein Karren ihm nicht entzweigerissen werde.

Somit war die Bekanntschaft aus. Es ärgerte Hansli ein wenig, doch sann er der Sache nicht weiter nach, geschweige daß er es zu Herzen nahm. Wir können leider nicht sagen, das Mädchen hätte einen unauslöschlichen Eindruck auf ihn gemacht, es war auch nicht darnach. Es war ein vierschrötig Ding mit breitem Gesicht, ihre größten Schönheiten waren ein gutes, treues Herz und unermüdlicher Fleiß, diese Züge stechen aber gewöhnlich nicht besonders hervor, und viele halten nicht einmal viel darauf.

Am folgenden Dienstag jedoch, als Hansli wieder den Karren zog, kam er ihm sehr schwer vor; er hätte nicht geglaubt, sagte er zu sich selbst, was das mache, wenn zwei dran zögen statt nur eins.

“Ists wohl wieder da?” sagte er, als er gegen das Murihölzli kam, “ich wollte ihm gerne sein Säckli nehmen, wenn es wieder ziehen hülfe; es geht ohnehin nirgends so sauer als von hier bis in die Stadt.”

Und richtig, das Mädchen saß da auf der Leubank wie vor acht Tagen, weinen tat es aber nicht.

“Hast mir wieder was zu laden?” frug Hansli, dem der Karren schon vom bloßen Sehen des Meitschi ganz leicht wurde.

“Es ist mir doch nicht bloß wegen diesem, daß ich da sitze; wenn ich schon nichts in die Stadt zu tragen gehabt, ich wäre gekommen”, antwortete das Mädchen; “konnte dir vor acht Tagen nicht einmal danken und fragen, obs was koste.”

“Das fehle mir noch, gingest mir ja für ein Handroß, und fragte dich auch nicht, was du fürs Ziehen wollest.”

Wie wenn es sich von selbst verstünde, brachte das Mädchen sein Bündel, Hansli barg es, und als ob es es gelernt, stellte sich das Mädchen an die Stange. Es hätte erst gedacht, als es schon von Hause gewesen, es hätte einen Strick mitnehmen sollen, den man hinten am Wagli hätte befestigen können, so könnte es viel mehr abbringen. Das andere Mal aber, wenn es komme, wolle es den Strick nicht vergessen. Dieses Bündnis in betreff gegenseitiger Hülfleistung ging ohne weitläufige diplomatische Verhandlung zu, daß einfacher es wirklich kaum möglich war. Diesmal traf es sich, daß sie auch zusammen heimwanderten, soweit ihre Wege zusammengingen, doch so klug waren beide, daß die Haschierer sie nie zusammen im Tore sahen.

Die Mutter hatte seit einiger Zeit sonderbare Freude an Hansli. Es däuchte sie, er sei so aufgeheitert, sagte sie, er könne den ganzen lieben langen Tag pfeifen oder singen, und er pützerle sich zweg, es habe keine Gattig. Er habe sich letzthin eine halbleinene Kutte machen lassen, er komme darin so staadisch, nit viel gefehlt, wie der Landvogt. Sie möge es ihm aber auch gönnen, er sei so gut gegen sie, der liebe Gott im Himmel wolle es ihm vergelten, sie könne es nicht, sie könne nichts als für ihn beten. Es sei denn aber doch nicht, daß er alles an die Hoffart hänge, er habe Geld auch. Sie glaube gewiß, wenn der das Leben habe und Gottes Segen, der bringe es einmal zu einer Kuh, von einer Geiß habe er schon lange geredet, aber sie werde es nicht erleben, es sei auch nicht, daß sie so dran hange und meine, es müsse sein.

“Mutter”, sagte einmal Hansli, “ich weiß nicht, wie es geht, ob der Karren schwerer wird oder ich schwächer, ich mag ihn seit einiger Zeit fast nicht mehr allein z’regieren, es geht mir hart an, besonders nach Bern hinein, es geht da soviel bergauf.”

“Glaubs wohl”, sagte die Mutter, “warum ladest alle Woche mehr auf, es grusete mir schon manchmal für dich, von wegen das gibt böse Alter. Dem ist aber gut zu helfen, lade drei oder vier Dutzend weniger, dann magst wohl gfahren wie ehedem.”

“Mutter, das kann ich nicht wohl”, sagte Hansli, “habe ohnehin fast immer zu wenig, und zweimal in der Woche zu fahren, habe ich nicht Zeit; Thun will ich auch nicht fahren lassen, habe meine besten Leute dort.”

“Hansli, und wenn du sehen würdest, ein Eselein zu bekommen? Habe schon oft davon gehört, wie das die allerkommodsten Tiere seien, sie kosteten fast nichts, sie fräßen fast nichts und ganz unwerte Sachen, zögen trotz einem Roß, und sogar die Milch könnte man brauchen – nit, daß ich möchte, aber um so zu sagen.”

“Nein, Mutter”, sagte Hansli, “sie sollen auch bsunderbar köpfig sein, so daß man längs Stück nichts mit ihnen machen kann, und für was sollte ich es die fünf anderen Tage brauchen? Nein, aber Mutter, ich hatte an eine Frau gedacht, was sagt Ihr dazu?”

“Aber Hansli, warum nicht lieber an eine Geiß oder an einen Esel, was dir nicht zSinn kommt! Was willst mit einer Frau machen?”

“He, Mutter, öppe was ein anderer”, sagte Hansli, “dann dachte ich, könnte sie mir helfen den Karren ziehen, es ginge mehr als einmal so leicht, wenn mir eine hülfe, und in der Zwischenzeit könnte sie pflanzen und helfen Besen machen, wo man weder eine Geiß noch einen Esel dazu anweisen kann.”

“Aber Hansli, meinst denn, du findest eine, die dir hilft den Karren ziehen, und die für andere Sachen auch noch was nütze ist?” frug bedenklich die Mutter.

“O Mutter, es ist eine, welche mir schon oft geholfen hat den Karren ziehen”, antwortete Hansli, “und die wäre noch für mehr Sachen gut; aber ob sie die Frau werden wolle, habe ich nicht gefragt. Ich dachte, ich wolle es Euch zuerst sagen.”

“Du Dillersbub, was du mir nicht sagst! Jetzt ist mir nicht mehr zu helfen!” rief die Mutter. “Was, bist du auch so einer? Das hätte ich unserm Herrgott nicht geglaubt, wenn er es mir gesagt hätte. Was, eine hat dir am Karren geholfen, und hast sie expreß angestellt dafür? Nein aber, jetzt traue einer noch einem Menschen!”

Da erzählte Hansli die Umstände, wie das so zufällig sich getroffen, und wie das ein Meitschi sei, gerade wie für ihn gemacht, exakt wie eine Uhr, nicht hoffärtig, nicht vertunlich, und ziehen tue es, er wette, ein mittelmäßig Kuhli möchte es nicht. Geredt mit ihm derentwege habe er nicht, aber er glaube, unanständig sei es ihm nicht. Es habe oft gesagt, z’heiraten pressiere es ihm aparti nicht, aber, wenns es zu machen sehe, daß es nicht noch böser es haben müßte als jetzt, da besänne es sich nicht lang und täts. Es wüßte doch dann auch, für was es auf der Welt wäre. Die jüngeren Geschwister wüchsen nach, und es wisse wohl, wie das gehe, die jüngeren seien immer werter als die älteren, und man sinne den älteren nicht daran, daß sie die jüngeren haben nachschleppen müssen.

Das gefiel der Mutter nicht schlecht, und je mehr sie das Unerwartete verwand und über die Sache nachdachte, desto anständiger kam es ihr vor. Sie legte sich auf Nachricht an und vernahm: Schlechtes wisse man nicht von ihm, es gehe den Eltern brav an die Hand; daneben z’fischen werde es da nicht viel geben. He nun so dann, desto besser! dachte die Mutter, so hat doch dann keins dem anderen was vorzuhalten.

Als am Dienstag Hansli den Karren rüstete, sagte ihm die Mutter: “He nun so dann, so red mit dem Meitli! Wenn es will, mir ists recht, aber nachlaufe tue ich ihm nicht, es soll am Sonntag zu uns kommen, so kann ich es gschauen, und man kann miteinander reden. Wenns gattlig tun will, so wird es schon gut kommen, einmal wird es doch sein müssen.”

“He, Mutter, das steht nirgends geschrieben, daß es sein müsse; ists Euch nicht anständig, so kann man es ja unterwegen lassen”, entgegnete Hansli.

“Stürm nur nit und fahr du jetzt und sag dem Meitli, wenn es mich für die Mutter halten wolle, so solle es mir Gottwillche sein!”

Hansli fuhr und fand sein Meitschi, und als Hansli in der Stange, das Meitschi jetzt am Strick wacker zogen, sagte er: “Es geht doch mehr als dsHalb ringer, wenn zwei einander helfen und am gleichen Karren ziehen. Ich war am letzten Samstag in Thun und mußte mich fast töten.”

“Habe es schon oft gedacht”, sagte das Meitschi, “es sei einfältig von dir, daß du nicht jemand anstellest; es ging dir alles halb so leicht, und der Verdienst wär größer.”

“Was willst”, sagte Hansli, “bald sinnet man zu früh auf eine Sache, bald zu spät, man ist halt gäng e Mensch. Aber jetzt däucht es mich, ich möchte eine anstellen; wenn du wolltest, du wärst mir gerade recht. Ich wollte dich heiraten, wenn es dir anständig ist.”

“He, warum nicht, wenn ich dir nicht z’wüst und z’arm bin”, antwortete das Meitschi. “Hast mich einmal, so nützt dich dann das Verachten nichts mehr. Ich werde es auch nie viel besser treffen; öppe einen bekömmt man immer, aber dann was für einen? Mir bist brav genug, hast Sorg zur Sache und wirst e Frau nit für e Hund haben.”

“He, sie kann es haben wie ich, und ist ihr das nicht gut genug, so kann ich nicht helfen”, antwortete Hansli. “Aber ich denke, schlimmer, als dus bisher gehabt, würdest du es bei mir nicht haben. Ists dir recht so, so sollst am Sonntag zu uns kommen, die Mutter läßt dir sagen, du sollest Gottwillche sein, wenn du sie für die Mutter halten wolltest.”

“He”, sagte das Meitschi, “was sollte ich anders, bins gewohnt, die Mutter für die Mutter zu halten, mich zu unterziehen und es anzunehmen, wie es kömmt, böser und minder böse, sauer und minder sauer. Habe nie geglaubt, ein böses Wort mache ein Loch, da hätte ich ja kein Stück Haut einen Kreuzer groß am ganzen Leib.”

Daneben wolle es wie üblich und bräuchlich, Vater und Mutter vorbehalten haben. Daneben werden die nichts dagegen haben, es seien ihrer noch genug daheim, und sie würden froh sein, vorabzustoßen, was gehen wolle.

So war es auch. Am Sonntag erschien das Meitschi richtig zu Rychiswyl. Hansli hatte es gut brichtet, so daß es nicht lange zu fragen brauchte, wo der Besenbinder wohne. Die Mutter examinierte es gut über Pflanzen und Kochen, wollte wissen, was es bete, und ob es lesen könne im Testament und auch in der Bibel. Es sei für die Kinder bös, und die hätten sich dessen zu entgelten, wenn eine Mutter sich nicht darauf verstehe, sagte die Alte. Ihr gefiel das Meitschi, und die Sach ward richtig.

“Eine Schöne hast nicht”, sagte sie vor dem Meitschi zu Hansli, “und wegen Reichtum wirst auch nicht viel zu rühmen haben. Daneben macht das nichts; von der Hübschi hat man nicht gelebt, und mit dem Reichtum ward schon mancher angeschmiert, daß er meinte, wie eine Reiche er habe, und hintendrein konnte er dem Schwäher die Schulden zahlen. Wenns gsunder Art ist und werkbar, so wird die Sache sich schon machen. Ein paar gute Hemli und eine doppelte Kleidung, daß du am Sonntag und Werktag nicht gleich daherkommen mußt, sondern dich anders anziehen kannst, wirst du wohl haben.”

“Bhütis ja!” sagte das Meitschi, “wegen selbem braucht Ihr keinen Kummer zu haben. Ich habe ein ganz neues Hemd, zwei ganz gute und dann noch viere, die aber nicht mehr alles sind. Aber die Mutter hat gesagt, ich müsse noch eins haben, und der Vater hat gesagt, er wolle mir die Hochzeitsschuhe machen, und sie sollen nichts kosten. Dann habe ich noch eine bsonderbar gute Pate, die gibt mir allweg auch etwas Schönes, vielleicht gar ein Pfänneli oder ein Breitöpfi, und wer weiß, obs da nicht einmal was zu erben gibt? Sie hat zwar Kinder, aber die könnten sterben.”

Gegenseitig vollkommen befriedigt, besonders von des Mädchens Seite, welchem die Wohnung, die sauber gehalten war, neben ihrem Schuhmacherloch voll Leder, Leisten und Kinder wie ein Palast vorkam, gingen sie auseinander, um bald wieder zusammenzukommen und zusammenzubleiben. So geschah es auch, Einspruch gab es keinen, die Vorbereitungen nahmen ebenfalls nicht Monate weg, neue Schuhe und ein neues Hemd sind bald gemacht, wenn man nämlich die Sachen dazu hat, und nach vier Wochen zog Hansli zu zwei den Karren nach Thun, und kurios war es, der alte Karren ging wieder ganz leicht und wie von selbst. Er hätte nicht geglaubt, daß ein Karren sich so zum Guten ändern könnte, es könnte mancher Mensch an ihm ein Exempel nehmen.

Um Hansli reute es manches Mädchen. Den hätte es auch mögen, dachte es; wenn es geglaubt, dem pressiere es, so hätte es ihm schon in den Weg kommen wollen, daß er das Plättergesicht nicht mit dem Rücken angesehen. Es hätte nicht geglaubt, daß Hansli so dumm wäre, der hätte ganz anders weiben können, wenn er es gewußt hätte anzustellen; der werde noch reuig werden vor der nächsten Fastnacht, aber es möge es ihm gönnen, “selber tan, selber han.” Aber Hansli war nicht so dumm und ward nicht reuig, er hatte grade ein Fraueli, wie es für ihn paßte, ein demütiges, arbeitsames, genügsames Fraueli, dem es bei Hansli war, als hätte es den Himmel erheiratet.

Gar lange freilich half es dem Hansli den Karren nicht ziehen, der mußte bald wieder einspännig fahren. Aber als einmal ein Bube da war, tröstete er sich; ein sonderbar munterer sei er, sagte er, im Hui sei der nachgewachsen, daß er ihm helfen könne, und unversehens ziehe der den Karren alleine. Sein Fraueli wollte zwar bald wieder sich einspannen. Wenn sie sich pressierten mit dem Heimkommen, so möge es der Bub wohl aushalten, die Großmutter gebe ihm unterdessen schon zu trinken, meinte es. Aber der Bub meinte es anders, wohl, der machte ihnen den Marsch.

Sie hatten sehr pressiert mit dem Heimfahren, aber noch waren sie mehr als eine halbe Stunde vom Hause entfernt, als das Fraueli ausrief: “Mein Gott, was hört man?”

Es waren Töne, als ob man ein junges Schwein am Messer hätte.

“Mein Gott, was ist dort, was hats gegeben!” rief wiederum das Fraueli, ließ den Karren fahren und lief davon. Es war die Großmutter, welcher der Bub mit Brüllen den Angstschweiß ausgetrieben, und die sich nicht anders zu helfen wußte, als ihn der Mutter entgegenzutragen in tausend Ängsten, er falle in Krämpfe. Der schwere Bub, die Angst und das Laufen hatten die alte Frau so außer Atem gebracht, daß es die höchste Zeit war, daß jemand ihr den Bub abnahm.

Sie war außer sich, und lange gings, bis sie sagen konnte: “Nein, so will ich nicht dabeisein, so einen handlichen habe ich mein Lebtag nie gesehen, lieber will ich den Karren ziehen.”

Die guten Leute erfuhren es, was es heißt, einen Zwingherrn im Hause zu haben, wenn es auch nur ein kleiner war. Das tat aber ihrem Haushalt keinen Abbruch, das Fraueli wartete verzweifelt brav daheim, pflanzte viel, half Besen machen, überstürzte nichts, aber machte immer was, als ob es nie müde würde, und alles ging ihm flink von der Hand. Hansli war ganz verwundert, wie gut er zwegkam mit einer Frau, und wie sein Geld sich mehrte. Er empfing ein Ackerli, die Mutter erlebte eine Geiß, als käme sie von selbst, und bald zwei. Eseli wollte Hansli keins, aber er mußte sich mit dem Müller, der in die Stadt fuhr, verbinden, um einen Teil seiner Besen führen zu lassen, was freilich den Profit etwas schmälerte und Hansli sehr reute, denn jeder Kreuzer tat ihm weh, der nebenausging.

Hanslis Leben gestaltete sich wiederum glatt und eben, die Tage folgten einander ungefähr wie die Wellen im Fluß, eine von der anderen kaum zu unterscheiden. Die Besenreiser wuchsen alle Jahre, seine Frau brachte fast alle Jahre ihm ein Kind, ohne daß es sie viel irrte. Sie bekam es, legte es ab, es schrie alle Tage ein wenig, es wuchs alle Tage ein wenig, und handumkehrt konnte man es schon brauchen. Die Mutter sagte, sie sei alt und habe das nie so gesehen. Sie mahnten sie an nichts besser als an junge Katzen, die nach sechs Wochen schon mausen könnten.

Und mit den Kindern war der Segen da, je mehr Kinder, desto mehr Geld. Ja, man denke, die Mutter erlebte die Kuh noch. Wenn sie aber nicht gesehen hätte, wie Hansli sie bezahlt, sie hätte sich kaum ausreden lassen, er habe sie gestohlen.

Und hätte die Mutter noch zwei Jahre länger gelebt, so hätte sie erlebt, das Hansli Eigentümer wurde des Häuschens, in welchem sie seit Jahren gewohnt, mit einer Taglöhnergerechtsame, welche ihnen mehr als genug Holz brachte und Land wohl für eine Kuh und zwei Schafe, welche besonders kommod sind, wenn man Kinder hat, welche wollene Strümpfe brauchen. Hansli blieb freilich ziemlich viel darauf schuldig, aber es war festes Geld, welches ihm stehenblieb, solange er fleißig zinsete. Übrigens machten ihm, wenn er das Leben hätte, die Schulden keinen Kummer, sagte er, und er hatte recht.

Hansli erfuhr es, wie die ersten Kreuzer zu erübrigen am schwersten hält. Es ist immer ein Loch da, durch welches sie entschlüpfen wollen, oder ein Mund, der sie verschlingen will. Ist einmal nachgewerchet, daß man ohne Schulden ist, mit ganzen Kleidern behaftet und ohne was vorgefressen zu haben, dann geht es schon. Es bildet sich der Boden unter den Füßen, es zaunet immer besser, der Bach breitet, das heißt, das Vorschlagen wird leichter und größer, wenn nämlich eins nicht ist: wenn sich die Lebensweise nicht ändert. Da liegen Klippe und Sandbank nebeneinander, und die Durchfahrt ist merkwürdig schmal. Da wachsen gerne aus dem Boden herauf die Bedürfnisse über Nacht wie Schwämme auf dem Mist, und wenn nicht beim Mann, so doch beim Weib, und wenn nicht bei den Eltern, so doch bei den Kindern. Auf einmal sind hundert Dinge nötig, an die man nicht gedacht, und anderer schämt man sich, wo man nichts anderes gewußt. Man überschätzt, was man hat, weil man vorher nichts gehabt, überschätzt sich, weil man das Gedeihen sich selbst zuschreibt, überschätzt seine Zukunft, weil man sie für notwendige Fortsetzung der Vergangenheit hält, und ändert die ganze Lebensweise. Im Verhältnis, daß der Verbrauch zunimmt, nimmt der Fleiß ab und somit der Erwerb, und wie man aufgeschossen, fällt man wieder. Die Herrlichkeit vergeht, wie sie gekommen, denn es ist noch immer wie ehedem: “Der Hochmut kommt vor dem Fall.”

Das war nun bei Hansli aber nicht. Er lebte und schaffte durchaus im gleichen fort, vertat fast kein Geld, freute sich dann aber auch, daheim was Warmes zu finden, und tat sich daran gütlich. Es änderte nichts, als daß nach und nach die schaffenden Kräfte sich mehrten. Das Fraueli besaß, sich selbst ganz unbewußt, die merkwürdige, seltene Kunst, die Kinder alsbald zu gebrauchen, sie sich selbst helfen zu lehren jedes nach seinem Alter und das ganz und ohne viel Redens, es wußte selbst nicht, wie es das machte. Ein Pädagog hätte sicherlich darüber kein vernünftig Wort von ihm herausgebracht. Sie warteten sich gegenseitig, halfen dem Vater mit dem Besenmachen, der Mutter trugen sie ab und zu, halfen beim Pflanzen, keines bekam eine Ahnung von der Süßigkeit des Müßigganges, des träumerischen Herumlungerns, und doch wurde keines strapaziert oder vernachlässigt mit Speise oder Unreinlichkeit. Sie wuchsen wie die Weiden am Bach, waren gesund und froh. Die Eltern hatten nicht Zeit, mit den Kindern Narretei zu treiben, aber die Kinder fühlten die Liebe der Eltern, sahen, daß sie mit ihnen zufrieden waren, wenn sie ihre Sache gut machten. Die Eltern beteten mit ihnen, und am Sonntag las der Vater sein Kapitel und erklärte, was er wußte, und derentwegen hatten die Kinder großen Respekt vor ihm, betrachteten ihn wirklich als den Hausvater, der mit Gott rede und, wenn sie nicht gehorchten, es Gott sage und dem Heiland. Der wahre Respekt der Kinder vor den Eltern hängt ganz bestimmt vom Verhältnis der Eltern zu Gott ab, wie es die Kinder wahrnehmen können. Wenn das nur alle Eltern bedächten!

Ja, unser Hansli war selbst unter andern Leuten als nur unter den Kindern eine Art Respektsperson. Er war so bestimmt, so zuverlässig, gescheute Worte gingen von ihm, man sah ihn niemals anders als ehrbar, er tat nicht groß, machte aber auch nicht den Bettler, daß gar manche vornehme Herrenfrau expreß in die Küche kam, wenn sie hörte, das Besenmannli sei da, um zu vernehmen, wie es auf dem Lande gehe, und wie dies und jenes gerate. Ja in manchem Hause in Bern vertraute man ihm das Liefern von Wintervorräten an, und das trug manchen schönen Batzen ein. In Thun war das wohl nicht der Fall, denn dort ist jede Frau Ratsherrin eine halbe Bäurin und pflanzet für Menschen und Vieh, daß es sie fast versprengt. Aber sie kamen doch in die Küche, hießen ihn gar in die Stube kommen und verklapperten mit ihm manch trautes Halbstündchen bei süßem Thunerwein. Denn wenn sie schon selbst pflanzten, so meinten sie deswegen nicht, daß sie nicht das Recht hätten zu klappern, mit wem sie wollten, so gut wie die andern Frauen Ratsherrinnen, welche nicht pflanzten. Ja sogar die Frau Schultheißin sprach mit ihm, es war sozusagen ihr zum dringenden Bedürfnis geworden, ihn alle Samstage zu sehen, und wenn sie mit ihm sprach, so war es sogar erlebt worden, daß der fragende Herr Schultheiß auf Antwort warten mußte. Von wegen es tut auch einer Frau Schultheißin wohl, einmal in der Woche ein vernünftig Wort zu hören und zu reden.

Da einmal geschah es, daß Samstag war in Thun, aber in Thun war kein Besenmannli zu sehen. Das gab großes Aufsehen und bedenkliche Gesichter. Manche Köchin stand unter der Türe mit eingestemmten Armen und ließ kaltblütig oben in der Küche Suppe und Pfanne ineinanderwachsen, daß man mit keinem Lieb sie mehr auseinanderbrachte. “Hast ihn nicht gesehen, nichts von ihm gehört?” frug eine die andere. Manche Frau schoß in die Küche und wollte die Köchin abputzen, daß sie ihr nicht gerufen, als das Besenmannli dagewesen. Aber da fand sie keine Köchin, fand nichts als was auf dem Feuer, das stank wie der Teufel, das war die Pfanne und die Suppe, die Hochzeit hielten. Selbst die Frau Schultheißin kam in Bewegung, nahm erst ihren Herrn, dann den Landjäger vor, und als beide nichts wußten, stieg sie nach dem Essen selbst ins Städtchen hinab, um nach ihrem Besenmannli zu fragen. Sie sei ganz aus mit Besen, habe in der folgenden Woche fegen wollen und jetzt keine Besen, man solle denken!

Aber das Besenmannli erschien nicht. Es war die ganze folgende Woche eine gewisse Leere fühlbar in der Stadt und am nächsten Samstag große Spannung. “Kommt er? Kommt er nicht?” war das Losungswort. Und er kam, er kam wirklich, aber ringer wäre er daheim geblieben. Wenn er auf alle Fragen hätte Antwort geben wollen, so hätte er acht Tage in Thun bleiben müssen. Er fertigte die Leute mit dem einfachen Bescheid ab, er hätte zLycht müssen.

“Wem?” frug ihn die Frau Schultheißin, die er nicht so kurz abfertigen konnte.

“Meiner Schwester”, antwortete das Besenmannli.

“Wer war sie, und wo wurde sie begraben?” frug die Dame weiter.

Das Besenmannli antwortete kurz, aber wahr; da rief die Frau Schultheißin plötzlich aus: “Aber mein Gott! Was? Seid Ihr der Bruder von der Köchin, die so großes Aufsehen machte, weil es nach dem Tode des Herrn sich herausgestellt, daß sie seine Frau gewesen und ihn also erbe, und die dann darauf plötzlich starb?”

“Gerade der bin ich”, antwortete Hansli trocken.

“Aber du meine Güte!” rief die Frau Schultheißin und schlug die Hände zusammen, “fünfzigtausend Taler geerbt zum wenigsten und jetzt noch mit Besen im Lande herumfahren!”

“Warum nicht!” antwortete Hansli, “habe das Geld noch nicht, und wegen der Taube auf dem Dache lasse ich den Spatz in der Hand nicht fahren.”

“Taube auf dem Dache!” rief unwillig die Frau Schultheißin. “Erst diesen Morgen habe ich und der Herr Schultheiß miteinander darüber geredet, und er sagte, dSach sei richtig, das Vermögen müsse dem Bruder zufallen.”

“He nun, desto besser”, antwortete Hansli. “Aber, was ich fragen wollte, soll ich über acht Tage Besen bringen oder über vierzehn?”

“A bah, Besen!” rief die Frau Schultheißin; “kommt herein, ich möchte sehen, was mein Herr für Augen macht.”

“Ich wär pressiert”, antwortete Hansli, “ich habe weit heim, und die Tage sind kurz.”

“Kurz oder nicht kurz, kommt!” befahl die Herrin, und Hansli mußte gehorchen, versteht sich.

Sie führte ihn nicht in die Küche, sondern ins Eßzimmer, befahl der Gattung oder Fanchette, oder wie die Kammermagd hieß, dem Herrn zu sagen, das Besenmannli sei da, und eine Flasche Wein zu bringen, und hieß das Mannli sitzen, wie auch das Mannli protestierte, er habe nicht Zeit und müsse weiter. Der Herr war da im Augenblick, setzte sich, schenkte sich auch Wein ein, machte Gesundheit, wünschte Glück, und Hansli mußte erzählen, wie er dazu gekommen.

Er machte es kurz. Er könne nicht viel sagen, erzählte er. Bald, als die Schwester vorm Herrn gewesen, sei sie fortgegangen um Arbeit aus. So sei sie von Platz zu Platz gekommen und stark gefördert worden mit Schein. Um sie daheim habe sie sich nie viel gekümmert, sei in der Zeit bloß zweimal heimgewesen und seit der Mutter Tode nie. Er habe sie wohl in Bern angetroffen, aber nie habe sie ihn heißen ins Haus kommen, wo sie gedient, nichts als den Gruß befohlen an Weib und Kinder und wohl gesagt, sie komme nächstens, aber es sei nie geschehen. Freilich sei sie nicht viel in Bern gewesen, sondern habe viel in Schlössern auf dem Lande herum gedient, sei auch im Welschland gewesen, wie er vernommen. Sie habe ein unruhig Blut gehabt und einen wunderlichen Kopf, und die blieben nie lange an einem Orte. Darneben war sie bsunderbar treu und fromm, man konnte ihr unbesorgt anvertrauen, was man wollte. Vor kurzem sei die Rede gegangen, seine Schwester habe eine alten, reichen Herrn geheiratet, der es den Verwandten zum Trotz getan, weil sie ihn schwer erzürnt, aber er habe der Sache nicht viel Glauben gegeben und ihr nicht nachgedacht. Da habe er plötzlich Bescheid bekommen, er solle alsbald zu seiner Schwester gehen, wenn er sie noch lebendig antreffen wolle, sie wohne im Murtenbiet; das habe er getan und sei noch früh genug gekommen, um sie sterben zu sehen, aber viel habe er mit ihr nicht mehr reden können. Als sie beerdigt gewesen, sei er wieder hergekommen, es habe ihm pressiert; seit er hause, habe er nie soviel Zeit versäumt.

“Du mein Gott”, sagte die Frau Schultheiß, “versäumt, wenn man dabei fünfzigtausend Taler erbt! Und wollet Ihr denn bei einem solchen Vermögen fortfahren Besen machen und damit hausieren?”

“He, das ist so, Frau Schultheißin”, sagte Hansli, “ich traue der Sache nicht recht, es dünkt mich, es hätte keine Gattig, daß ich soviel erben sollte. Daneben sagt man mir, es könne nicht fehlen, und wenn die Zeit um sei, werde ich es frei und frank in die Hände bekommen. Nun, sei das, wie es wolle, so fahre ich einstweilen im alten fort. Wenn es fehlen sollte, müßten die Leute nicht lachen: ›Der hat schon gemeint, er sei ein Herr, und kann schön wieder an seinem Karren ziehen!‹ Habe ich einmal das Geld, werde ich es mit den Besen wohl lassen, obgleich es mich reut und mir nicht erleidet ist. Aber die Leute würden doch reden und ein Gespött haben, wenn ich es täte, und das mag ich auch nicht. Bauer sein ist auch eine schöne Sache, und wenn man Geld hat, wird schon ein Hof zu kaufen sein. Ich habe gottlob ein Häuschen und Land fast für zwei Kühe, und bei meinem Fahren habe ich manchmal gedacht: Wäre ich nicht das Besenmannli, so möchte ich Bauer sein! und vielleicht brächte ich es zweg, so einen mindern Hof zu kaufen, wo für alle meine Kinder zu arbeiten und zu essen genug wäre; fest kann man dann sitzen.”

“Aber ist das Vermögen in saubern Händen? Können da keine Gefährde getrieben werden?” frug der Herr Schultheiß.

“Ich glaube, es sei sicher”, sagte Hansli. “Ich habe die, welche am meisten dran machen können, probiert. Ich habe ihnen Geld angeboten, wenn sie machten, daß ich zum Erben komme. Da haben sie gescholten und gesagt, ghörs mir, werde ich es erhalten, ghörs mir nit, mache man da nichts mit Geld, für die Kosten werde man mir seinerzeit die Rechnung machen. Da sah ich, daß die Sache am rechten Orte ist, und mag jetzt wohl warten, bis die Zeit um ist.”

“Nein aber”, sagte die Frau Schultheißin, “das ist mir unbegreiflich; das ist mir eine Kaltblütigkeit, die in Israel selten gefunden wird, die mich aus der Haut triebe, wenn ich Eure Frau wäre.”

“Die tut es nicht”, sagte Hansli, “bis sie jemand brichtet, wie sie wieder hineinkönnte.”

Diese Kaltblütigkeit und das Fortfahren mit den Besen versöhnte viele Leute mit dem sonst so gerne beneideten sogenannten Glücklichen, während andere es als Beschränktheit und Dummheit verhöhnten. Einige meinten, Hansli sei dumm, und wer gescheut sei, könne da was zu fischen kriegen. Sie liefen ihn an, suchten ihm angst zu machen und hintendrein mit dem Anbieten ihrer Hülfe zu trösten. Andere wollten das Erbe ihm abkaufen, er kriege es doch nie, sagten sie. Es gebe da Prozesse, deren Ausgang er nicht erlebe; wo da Geld nehmen, um sie zu speisen? He, sagte Hansli, es sei alles ungewiß auf der Welt, einstweilen wolle er sich noch besinnen, es sei dann noch frühe genug zuzusehen, wenn die Sache sich stecken sollte.

Die Sache steckte sich aber nicht. Zur gesetzten Zeit erhielt er Bericht, er solle auf Bern kommen; dSach sei im reinen.

Als er als ein reicher Mann heimkam, weinte seine Frau gar mörderlich und himmelschreiend. Er mußte mehrmals fragen: “Was hats gegeben, ist ein Unglück geschehen?”

“Jetzt”, sagte endlich die Frau, die, je seltener sie weinte, um so schwerer zu sich selber kam, “jetzt wirst mich verachten, da du so reich bist, und denken, hättest nur eine andere! Ich tat, was mir möglich war, aber jetzt bin ich nichts mehr, ein alter Kratten. Oh, wenn ich nur schon unter der Erde wäre!”

Da setzte sich Hansli auf den Vorstuhl und sagte: “Hör, Frau, du weißt, fast dreißig Jahre haben wir gehaushaltet im Frieden; was das eine wollte, wollte das andere auch. Geprügelt habe ich dich nie, ja die bösen Worte, die wir uns gegeben, wären bald gezählt. Jetzt, Frau, fang mir nicht an, wüst zu tun und ein Neues anzufangen, es soll zwischen uns beim alten bleiben. Das Erb kommt nicht von mir, es kommt nicht von dir, es kommt von Gott für uns beide und für unsere Kinder. Das kann ich dir sagen, und das soll fest sein wie ein Wort aus der Bibel, daß, sobald du mir noch einmal davon anfängst mit Heulen und ohne Heulen, so prügle ich dich mit einem neuen Seil, daß man dich am Bodensee kann schreien hören. Dabei bleibts; jetzt mach, was du willst!”

Das lautete sehr bestimmt, bestimmter als der Briefwechsel zwischen Preußen und Österreich. Die Frau wußte, woran sie war, sie kannte Hansli, sie wärmte dieses Lied nicht mehr auf, es blieb unter ihnen beim alten. Sie zogen einträchtig am Karren, und der Karren blieb ganz leicht.

Hansli kaufte alsbald einen großen Hof, damit er für seine Kinder zu arbeiten und zu essen hätte. Aber ehe er als Besenmannli abtrat, machte er noch ein schön Stücklein: allen seinen Kunden brachte er noch ein Dutzend Besen als Geschenk ins Haus. Er sagte nachher oft und gewöhnlich mit Wasser in den Augen, das sei der Tag, den er am wenigsten vergessen könne; er hätte nie geglaubt, daß er den Leuten so lieb sei. Er behielt als Bauer den gleichen Fleiß und die gleiche Einfachheit, betete und arbeitete wie vorher, und doch wußte er zwischen Bauer und Besenbinder den Unterschied zu machen, daß der erste zu geben, der andere zu nehmen hatte, tat beides gleich unbeschwert. Er hatte längst gewußt, was einem Bauernhause wohl anstehe, das vergaß er nicht und führte es jetzt in seinem Hause aus. Was er gerne gehabt für sich, das tat er auch an andern.

Das gleiche Maß hielt er mit den Kindern, das war wohl der schwerste Punkt. Er wußte wohl, daß er sie jetzt etwas besser kleiden mußte als des Besenbinders Kinder, aber den ebenrechten Grad darin zu treffen, war nicht ganz leicht; nicht leicht war es, die Kinder zu befriedigen und es dem Publikum zu treffen, daß es nicht schrie über das Zuwenig oder das Zuviel. Hansli traf es nicht übel, und seine Frau stimmte ihm bei. Sie kleideten ihre Kinder dauerhaft und stattlich, meist in selbstgemachtes Zeug, aber er duldete nichts Auffallendes, in die Augen Schreiendes an ihnen.

Er sagte ihnen oft: “Kinder, tut nicht groß, machet nie den Narrn, sei es, mit was es wolle. Sobald eins von euch die Leute ärgert, sei es mit diesem oder mit jenem, so zählt darauf, ihr müßt von allen Seiten hören: ›Das mag wohl, es ist ja des Besenbinders Kind; der zöge noch am Karren, wenn er nicht geerbt. Es wäre noch mancher reich, wenn er es erben könnte, das ist keine Kunst.‹ Ich schäme mich mein Lebtag dessen nicht, es kann mir Besenbinder sagen, wer will, aber ich bin auch nicht hochmütig; werdet ihr es aber, so werdet ihr euch des Vaters und der Mutter schämen, und die Leute werden euch den Besenbinder vorhalten euer Leben lang. Darauf zählt!”

Die Kinder glaubten daran und taten darnach. Indessen wollen wir nicht sagen, daß Eltern und Kinder alle Färbung ihrer frühern Lebensweise hätten abstreifen können und immer ganz fest und sicher auf dem neuen Boden umhergeschritten wären, das ist wohl unmöglich, und es braucht Generationen, um in einen neuen Stand hineinzuleben, und je ängstlicher man es will, je verlegner man tut, was jedoch bei unserm Besenbinder nicht der Fall war, desto weniger gelingt es.

Der liebe Gott ließ sie lange leben, er gab ihnen noch die Freude zu sehen, wie brave Tochtermänner mit ihren Weibern wohlzufrieden waren und brave Söhnisweiber die Eltern um ihrer braven Männer willen liebten und ehrten, und wenn sie noch jetzt auf Erden wären, so würden sie sehen, wie die Familie Wurzel geschlagen, blüht und Früchte trägt unter den Ehrbaren des Landes, denn sie bewahrt noch jetzt die wahren Lebenskeime der Familie: Fleiß und Frömmigkeit, ein währschaft, kernhaft Wesen, das nicht alle Tage ein anderes wird, je nachdem der Wind geht und die Umstände wechseln.

Jeremias Gotthelf